Effektive Gesellschaftskommunikation

Warum Kommunikation beim Corona-Virus mehr wirkt als beim Klimawandel

Autorenbeitrag von Daniel Silberhorn, CSR-Lead bei FleishmanHillard

So wie bei COVID-19 würden sich das viele auch beim Thema Klimawandel wünschen: Die Politik hört auf die Wissenschaft und reagiert mit klaren Vorgaben. Wenn auch weltweit in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Konsequenz. Und zumindest eine große Zahl von Menschen hält sich daran. Obwohl die Maßnahmen drastisch in individuelle Freiheiten eingreifen und die persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen schon jetzt deutlich sind. Vor den Auswirkungen des Klimawandels wird dagegen seit Jahrzehnten gewarnt. Und genauso lange wogt der Kampf um Interpretationen, Deutungshoheit und einzuleitende Maßnahmen zwischen Ländern und innerhalb von Nationen. Und erst langsam, wenn auch in jüngerer Zeit deutlich, kommt der Wandel bei Unternehmen und Menschen an.

Warum funktioniert das eine, und das andere nur (zähne-)knirschend? Warum hört die Politik beim Virus durch die Bank auf die Stimme der Wissenschaft, beim Klimawandel finden die Forscher erst nach Jahrzehnten Gehör? Warum spielen die Menschen bei der Mission „Zeit gewinnen“ im Umgang mit COVID-19 mit, während die gleichen Menschen sich schwertun, ihre Werte und guten Absichten bezüglich Klimaschutz umzusetzen? Oder müssen sich gar an prominenten Vertretern der Klimabewegung abarbeiten, wie vor wenigen Tagen erst der Ex-TV-Seelsorger Domian an Greta Thunberg?

Fünf Katalysatoren spielen eine Rolle: Unmittelbare Betroffenheit, geringere Komplexität, überschaubare Optionen, definierter Zeithorizont und anschauliche Alternativen.

Fünf Katalysatoren spielen eine Rolle: Unmittelbare Betroffenheit, geringere Komplexität, überschaubare Optionen, definierter Zeithorizont und anschauliche Alternativen.

1. Unmittelbare Betroffenheit

Dinge, die weit weg passieren oder abstrakt bleiben, berühren uns weniger als das, was in unserer Nähe passiert mit Auswirkung auf uns. Unser mediales System kennt dieses Prinzip als einen wichtigen Nachrichtenwert und verstärkt in der Berichterstattung die Sichtbarkeit und Wahrnehmung naher Ereignisse, die uns direkt betreffen.

So ist es auch beim neuen Corona-Virus: Jede Ansteckung wird gezählt und die Statistiken aktualisiert. Man konnte miterleben, wie das Virus immer näherkam. Es geht um das Jetzt und Hier. Und es geht bei den Effekten um Freunde und Eltern, die möglicherweise kein Bett mehr in der Intensiv-Station bekommen, wenn wir sie aus Unachtsamkeit anstecken.

Anders der Klimawandel: Schmelzende Polkappen, hungrige Eisbären – solche Phänomene schienen weit weg. Erst Erlebnisse wie die Hitzerekorde 2019 machten vielen klar: Mag es bisher um eine enkelfreundliche Zukunft gegangen sein, eine Solidarität mit den ferneren Generationen, geht es nun in Wahrheit um eine kinderfreundliche Zukunft. Das Zeitfenster und die Notwendigkeit des Handelns sind uns mindestens eine Generation näher gerückt.

2. Geringere Komplexität

Die Ursache für die Erkrankungen durch Corona ist offensichtlich: Ein einzelnes Virus. Das seinen Ursprung geografisch klar erkennbar hat, und das in seiner Bewegung über die Weltkarte deutlich zu verfolgen ist. Und das Risiko ist auch klar: Je schneller und je weiter COVID-19 sich ausbreitet, desto schwieriger können wir die Folgen in den Griff bekommen.

Beim Klimawandel spielen viele Faktoren eine Rolle. Und wir sind erst dabei, die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu verstehen. Zum Beispiel wandelt sich möglicherweise der Amazonas-Regenwald von einer CO2-Senke in eine CO2-Quelle. Solche Faktoren entwickeln ihre Wirkung über Jahre und in schwierig durchschaubarer Vernetztheit. Und genauso komplex und vielfältig sind auch die Aspekte, die wir hinterfragen müssen.

Mit der Folge, dass der Einzelne sich sehr einfach machtlos fühlen kann und sich immer argumentieren lässt, dass es andere Bereiche gibt, die scheinbar viel relevanter sind: So mache ja etwa Fliegen ja nur 2,5% des CO2-Ausstoßes aus, und der Anteil von Deutschland global nur knapp 2% gegenüber 27,5% von China. Komplexität lähmt das Handeln und lagert Verantwortung und Initiative in eine diffuse gesellschaftliche Wolke aus.

3. Überschaubare Optionen

In der Komplexität des Klimawandels sind die Handlungsoptionen für den Einzelnen schwer zu überblicken. Es geht um Konsum, um Freizeitverhalten, um Mobilität – um alle Lebensbereiche. Wo anfangen, wo aufhören? Die individuelle Schere zwischen nachhaltigen Werten und realem Handeln ist dabei oft groß. Nicht zuletzt, weil gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten wie etwa Abfallvermeidung zunächst mehr Aufwand bedeutet: Wo gibt es Unverpackt-Läden? Wann nehme ich welche Behälter mit?

Zudem fordern viele engagierte Klimaschützer die ‚große Transformation‘: Wir müssten unser Leben komplett und grundlegend ändern. Das mag faktisch richtig für die Gesellschaft sein – führt aber im Einzelfall oft dazu, dass Menschen sich überwältigt fühlen. Oder, genauso kritisch: Klimafreundliches Handeln erreicht sie nur in Form von Verzichtgeboten, Stichwort Suffizienz. Wir sollen mit weniger zufrieden sein. Planetarisch wünschenswertes Handeln fälschlich als zu fürchtendes trojanisches Pferd für weniger Lebensqualität.

Bei SARS CoV 2 zeichnet die offizielle Kommunikation einen klaren Handlungspfad. Jeder einzelne weiß, was er tun kann: Wascht Euch die Hände, achtet generell auf Hygiene, und haltet Abstand zu anderen Menschen. Die Sinnfälligkeit liegt auf der Hand: “Abstand halten – das Virus bremsen“. Flatten the curve. Eine überschaubare Zahl wieder und wieder vermittelter Verhaltensweisen führt, so die Kommunikation und Hoffnung, zu einem Resultat, das einleuchtend wünschenswert ist. Das ist einfach. Und tut zudem potenziell nur kurze Zeit weh. Denn später geht es ja ‚normal‘ weiter.

4. Definierter Zeithorizont

So drastisch die Maßnahmen in den Alltag eingreifen und so eindringlich Merkels Appell: Jeder weiß, dass wir eine Krise erleben, die nach aktuellem Stand wohl zeitlich begrenzt ist. In einigen Wochen oder zumindest Monaten, so die Hoffnung, ist der ganze Spuk um das Corona-Virus vorbei. Augen zu und durch. „Your grandparents were asked to go to war. You are being asked to sit on the couch.“ Wir schaffen das. Das Problem hat ein Verfallsdatum.

Beim Klimawandel sieht das anders aus. Es ist uns bewusst, dass Veränderungen zur Erhaltung eines angenehmen Klimas von Dauer sein müssen. Es reicht nicht, vier Wochen das Auto stehen zu lassen. Wir brauchen neue Mobilitätskonzepte. Wobei gerade jetzt wegen COVID-19 weniger befahrene Straßen, ruhigere Innenstädte und geringere Verschmutzung auf Satellitenbildern zeigen: Handeln hat Wirkung. Es geht aber insgesamt darum, ein neues Gleichgewicht zu finden. Echter Wandel. So etwas mögen wir nicht.

5. Anschauliche Alternativen

Eine besondere Rolle im Kampf gegen das neue Virus spielt eine Grafik, die zeigt, wie sich die Zahl der Betroffenen im Zeitverlauf ändert – einmal mit Gegenmaßnahmen, einmal ohne. Eine horizontale Linie zeigt die Kapazität des Gesundheitssystems. Ohne Gegenmaßnahmen wird diese rasch gesprengt, mit Maßnahmen bleibt die Kurve im Rahmen des Bewältigbaren.

Die Aussage ist einleuchtend: Wenn wir Zeit gewinnen, kommen wir klar. „Flatten the Curve“ lautet die Mission, die vielen plausibel ist, und die entsprechend auch als Hashtag Social Media-kompatibel Karriere macht. Es steht uns klar vor Augen, dass wir eine Wahl haben zwischen einschränkendem Handeln jetzt und einer nahen Zukunft, die ohne Maßnahmen für viele schwierig werden könnte.

Auch der Klimawandel kennt geradezu ikonenhafte Bilder. Sei es Greta Thunberg mit ihrem Schild, Schlittenhunde, die scheinbar über Wasser laufen, ein Satelliten-Bild mit Waldbränden im Amazonas. Und ‚horizontale Linien‘ gibt es einige: etwa Rockströms planetare Grenzen oder das in den 1970ern formulierte Zwei-Grad-Klimaziel, und andere.

Aber: Diese ‚Linien‘ verbinden Folgen nicht mit menschlichem Handeln und bieten so keine handlungsmotivierenden, eingängigen Darstellungen. Das 2016 gegründete Startup right. based on science versucht das mit seiner Klimakennzahl „X-Degree-Compatibility“ (XDC) zu bieten. Diese Zahl drückt aus, wie stark sich die Erde erwärmen würde, wenn alle Unternehmen so wirtschafteten wie das untersuchte. Klimawirkung wird sichtbar.

Lehren für die Klimawandel-Kommunikation

Was lässt sich daraus ableiten für die Klima-Kommunikation? Wissenschaftliche Erkenntnisse liegen in beiden Fällen vor – beim neuen Corona-Virus wie auch beim Klimawandel. Gleichzeitig steigt die unmittelbare Betroffenheit auch beim Klimawandel an.

Bei aller Tragweite und Konsequenzen: Zumindest in den ersten Tagen scheint die Corona-Krise in Deutschland im direkten Vergleich auf der individuellen Ebene durch eine gewisse Handhabbarkeit definiert: Geringere Komplexität, überschaubare Optionen, definierter Zeithorizont und anschaulich gemachte Alternativen. (Das kann sich jedoch ändern.)

Wenn dies auch entscheidende Aspekte für ein bereitwilliges Handeln der Menschen für den Klimaschutz sind, wäre eine daraus abzuleitende These: Wirksame Kommunikation muss den Klimawandel so transportieren, dass er für die Menschen im Alltag ‚handhabbar‘ wird.

Wer Menschen erreichen will, darf nicht rein auf Apokalypse-Kommunikation oder appellierendes Vernunft-Vokabular setzen, die viele ausblenden und die nur einen Teil zum Handeln motiviert. Wir müssen, wenn wir etwas bewirken wollen, immer die Frage beantworten, die jeden Menschen antreibt: „What’s in it for me?“ – Was habe ich davon?

Das bedeutet auch, dass die Kommunikation auf Ebene der einzelnen Bürgerinnen und Bürgern oder auch Mitarbeiter das Engagement und den Kampf gegen den Klimawandel nicht als reines Verzichten auf liebgewonnene Standards transportieren sollte. Was gewinnen wir durch anderes Verhalten? Es geht also darum, positive Effekte ins Jetzt zu holen, um eine positive Betroffenheit zu schaffen. Auch und gerade auf einer kürzeren Zeitachse.

Und es den Menschen dabei möglichst einfach zu machen. Denn wie nicht zuletzt die 2008 durch das Buch „Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ populär gewordene Nudge Theory gezeigt: Ein bestimmtes Verhalten wird wahrscheinlicher, je bequemer es zu realisieren ist. Auf Augenhöhe platziertes gesundes Obst wird mehr gekauft. Sichtbar aufgestellte Abfalleimer werden eher genutzt.

Gerade Trends wie Entschleunigung, Gesundheit und Achtsamkeit bieten die Chance, Klimaschutz auf persönlicher Ebene als Gewinn an Lebensqualität zu kommunizieren.

Die Trends Entschleunigung und Achtsamkeit bieten die Chance, Klimaschutz als Gewinn an individueller Lebensqualität zu kommunizieren.

Ein Beispiel ist die so genannte „Planetare Ernährung“ (Planetary Health Diet). Diese propagiert einen Speiseplan, der gesünder sei für den Planeten – und den Menschen. Selbst auf Fleisch muss man demnach nicht ganz verzichten. Eine solche Perspektive ist für viele wesentlich attraktiver, als sich beispielsweise komplett vegan zu ernähren. Und bietet das gute Gefühl, auf allen Ebenen richtig zu handeln, im Einklang mit den eigenen Werten.

Ähnlich lässt sich im Tausch gegen Zeit in anderen Bereichen Lebensqualität auf eine Weise gewinnen, die dem Klimaschutz zuträglich ist. Wer beispielsweise samstags erst auf seinem Feld Gemüse erntet, dann beim Foodsharing stoppt und schließlich auf dem Markt alles einkauft, was dann noch fehlt, ist zwar deutlich langer unterwegs. War aber auch schon auf dem Rad im Freien unterwegs, hat im Grünen Abstand vom Alltag gewonnen, sich mit netten Leuten unterhalten, und bekommt sehr günstig frische Lebensmittel in Bio-Qualität.

Oder beim Stichwort Reisen: Wer mit dem Nachtzug nach Lissabon fährt, braucht natürlich wesentlich mehr Zeit als mit dem Flugzeug. Aber er nimmt die entschleunigende, bleibende Erinnerung mit an ein Glas Rotwein im Kerzenlicht seines Schlafwagens, während die nächtliche Landschaft Spaniens vorbei huscht. Ein Erlebnis.

‚Handhabbarer‘ wird die große Aufgabe auch durch ambitionierte Zwischenschritte, die sich aus der übergreifenden positiven Vision ergeben – selbst wenn eigentlich alles auf einmal passieren müsste. So, wie die bemannte Raumfahrt nicht mit der Mondlandung begann, sondern sich über Meilensteine Schritt für Schritt den Weltraum eroberte.

Das individuelle Wirken kann dann wieder in das große Bild rücküberführt werden – ähnlich wie bei der erklärten Corona-Mission „FlattenTheCurve“: Wir könnten Big Data nutzen, um umfassende Daten zu kombinieren und eingängige Darstellungen zu schaffen, die auch beim Klimawandel wirksam vor Augen führen: Wenn wir auf individueller Ebene Maßnahmen ergreifen, können wir die negativen Auswirkungen auf das Klima beschränken. Mehr noch: Wir – und jeder einzelne – können jetzt Lebensqualität gewinnen.

Unter dem Strich: Der Blick auf das Handeln in der Corona-Krise bietet Inspiration für wirkungsvolle Klima-Kommunikation, auch für Unternehmen. Natürlich brauchen wir auch das große Bild, und die Bewegung auf der großen Ebene. Das muss für die Bürger aber richtig übersetzt werden, um als Wandel wirklich wirksam zu sein. Die fünf Katalysatoren Betroffenheit, geringere Komplexität, überschaubare Optionen, definierter Zeithorizont und anschauliche Alternativen sind der Schlüssel. Apokalypse eher No, Lebensqualität Yes.

Oder wie es ein Arzt einmal sagte: „Es geht nicht nur um ‚Weniger vom Schlechten‘, sondern vor allem um ‚Mehr vom Guten'“. Was er auf Ernährung bezog, gilt auch hier.

Daniel Silberhorn

Daniel Silberhorn hat knapp 15 Jahre Erfahrung in der Beratung nationaler und internationaler Unternehmen. Bei FleishmanHillard ist der Senior-Berater im Corporate Communications-Team unter anderem für den Bereich Sustainability/Nachhaltigkeit zuständig. Außerdem ist der Dozent für Global Communications an der Universität Erfurt und Gastdozent an der Escola Superior de Comunicacao Social in Lissabon.

Originalquelle des Artikels hier aufrufbar.

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